facebook
Drucken
Seite mailen

Kreuzfahrten im Kopf (I)

14. April 2020

700394

In Zeiten wie diesen, ist das Reisen ja zur reinen Kopfsache geworden. Mit den Füßen – und sonstigen Fortbewegungsmitteln – kommt man schließlich kaum weiter als bis zum nächsten Supermarkt und wie es ausschaut, wird sich daran in den nächsten Wochen auch nicht viel ändern. Wer sich da in die Ferne sehnt, hat genau zwei Möglichkeiten: Entweder er träumt von kommenden Reisen oder er erinnert sich an vergangene. So wie ich. Schließlich hat sich in zwei Jahrzehnten Kreuzfahrtjournalismus so einiges an Schiffen, Menschen, Bildern und Erlebnissen im Kopf angesammelt. Deshalb gibt’s heute und im nächsten Blogbeitrag ein paar wahrhaft magische Momente zum Nachlesen:

1. Mit der QE2 nach New York.
Sechs Tage hat die Überfahrt von Southampton gedauert. Unser ständiger Begleiter: ein Atlantiktief, wie es selbst unsere sturmerprobte Queen bislang kaum erlebt hatte. Die meiste Zeit verbrachten wir Ingwerstäbchen lutschend und Bücher lesend in der Kabine – die offenen Deckbereiche waren aus Sicherheitsgründen ohnehin gesperrt und an Gala-Abende oder Five O‘ Clock Teas war auch nicht zu denken …
Und dann die letzte Nacht: Ganz plötzlich hatten Wind und Wellen nachgelassen und die Ruhe auf unserem Schiff wurde so laut, dass wir davon wach wurden. Im Bademantel machten wir uns auf den Weg nach draußen, wo livrierte Stewards heißen Kaffee in Pappbechern servierten und am Horizont die Skyline von Manhattan in den Himmel wuchs. Links neben uns zog langsam Lady Liberty vorbei, umhüllt von weißgrauen Dunstschwaden, aus denen sich zuerst nur die Fackel, dann der Sternenkranz und schließlich das imposante Ganze schälte. „O beautiful for spacious skies, for amber waves of grain …“ – irgendwo erhob sich eine einzige leise Stimme, der bald weitere folgten: „For purple mountain majesties, above the fruited plant!“. Und schließlich sang oder summte das ganze Deck: „America! America! God shed His Grace on thee, And crown thy good with brotherhood, from sea to shining sea“. So mussten sich damals wohl auch all die Einwanderer gefühlt haben, als sie nach Wochen auf dem Atlantik endlich ihre neue Heimat erreichten. Wahrscheinlich war es nur ein letzter Hauch vom Atlantiktief, der mir in diesem Moment die Tränen in die Augen trieb …

2. Mit dem Traumschiff nach Papua-Neuguinea.
Zugegeben, den Namen vom Hafen habe ich vergessen. Aber ich weiß noch genau, dass wir mit dem TV-Traumschiff, der „MS Deutschland“, von Neukaledonien nach Manila unterwegs waren und es die erste Anlandung an der unendlich langen Ostküste von Papua-Neuguinea werden sollte. „Vor uns hat hier noch kein einziges ausländisches Passagierschiff angelegt. Stellen Sie sich also darauf ein, dass die Einheimischen Ihnen durchaus mit Skepsis, Scheu oder Aggression begegnen können. Bettelnde Kindern ignorieren Sie am besten, oder Sie geben Ihnen einen Bonbon oder einen Bleistift. Sie werden dann von Ihnen ablassen. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir auf Papua-Neuguinea die Teilnahme an unseren Ausflügen.“ Den Hinweis im Bordprogramm fand ich unfassbar menschenverachtend und auch unglaublich dämlich – er passte aber gut zu diesem kitschig-spießigen Luxuskutter, auf dem die Bar „Zum Alten Fritz“ hieß und jede Ecke wie ein Stück Operettenkulisse aussah. Sollten die doch ihre gut bewachten und bestens vom wahren Leben abgeschirmten Busausflüge unternehmen. Ich wollte allein losziehen – ohne Bonbons und Bleistifte, dafür aber mit Respekt und Neugier.
Es dauerte nicht lang, bis mich auf meinem einsamen Spaziergang am Strand tatsächlich eine Gruppe Kinder umkreiste – zunächst in gebührendem Abstand und bald darauf schon so nah, dass wir anfingen eine leere Coladose hin- und herzukicken. Schnell waren zwei Mannschaften gebildet, Treibhölzer zu Toren umfunktioniert und Regeln aufgestellt, an die sich dann ohnehin keiner hielt. Eine halbe Stunde ging das so, dann verabschiedete ich mich und zog alleine weiter. Viel zu sehen gab es vor Ort ehrlich gesagt nicht, deshalb kehrte ich bald wieder zum Schiff zurück. Und wer erwartete mich da bereits mit feierlichen Gesichtern sowie einem aus Reifenresten und Muschelstücken zusammengebastelten Pokal? Meine Mannschaft, die noch einmal zum Abschiednehmen vorbeigekommen war! Ich habe mich in diesem Moment unglaublich geehrt gefühlt – und gleichzeitig habe auch wahnsinnig für den Hinweis im Bordprogramm geschämt. Glücklicherweise haben diese stolzen und liebenswerten Kinder nie davon erfahren. Und hoffentlich haben sie auch nie aufgehört an das Gute in jedem Reisenden zu glauben. Ihren Pokal besitze ich übrigens immer noch, er gehört für mich zu den wertvollsten Reiseerinnerungen überhaupt.

3. Mit der Columbus 2 zum Nordkap.
Als Profireisender bin ich ja zumeist allein auf Kreuzfahrt unterwegs. Schließlich ist das Ganze ja kein Urlaub, sondern Arbeit – auch wenn’s kaum einer glaubt. Wenn ich trotzdem einmal eine Begleitperson mitnehme, dann ist das schon etwas ganz Besonderes. Vor allem dann, wenn es sich bei dieser „Begleitperson“ um den eigenen Vater handelt, mit dem ich die letzte gemeinsame Reise zu Schulzeiten unternommen hatte. Ehrlich gesagt, war ich im Vorfeld unsicher – und auch ein wenig nervös: Würden wir es schaffen, uns zwei Wochen lang eine Kabine zu teilen? Hätten wir uns genug zu erzählen? Und könnten wir die kleinen Spleens und Eigenheiten des anderen nach all den Jahren wirklich noch ertragen?
Die Antworten darauf: ja, ja, ja! Es wurde für uns beide eine unvergessliche Reise. Tagsüber waren wir zumeist auf langen Wanderungen an Land unterwegs, weit weg von all den „alten Leuten vom Schiff“, so mein damals 78jähriger Vater. Und nachts saßen wir häufig gemeinsam an Deck und haben der Mitsommernachtsonne dabei zugeschaut, wie sie in unseren Rotweingläsern versank. Achja, und dann gab es da auch noch den Moment, auf den mein Vater unbedingt mit einem Glas Champagner anstoßen wollte: Kurz hinter den Lofoten war es ihm endlich gelungen, seinem Sohn das Schachspielen beizubringen – und das nach mehr als vier Jahrzehnten und unendlich vielen Versuchen, die an Land allesamt erfolglos blieben.



facebook
Drucken
Seite mailen