Eigentlich sollte ich ja gar nicht hier sein. Also nicht hier, an meinem Schreibtisch im nasskalten Wien. Stattdessen wollte ich in dieser Woche durch den südchilenischen Sommer kreuzen, Fjorde bewundern, Eisbergen beim Kalben zuschauen – und vor allem die neue HANSEATIC nature genießen. Warum daraus nichts wurde und vor meinem Balkonfenster gerade kein beeindruckender Wal auftaucht, sondern nur eine blöde Taube gurrt? Wegen Mailand. Das liegt zwar 8.691 km von Wuhan, dem Epizentrum der Corona-Epidemie, entfernt, gilt inzwischen aber auch als Hochrisikogebiet.
„Bis auf weiteres wird eingeführt, dass Gästen und Crewmitgliedern ihre Mitreise an Bord leider nicht ermöglicht werden kann, die sich in den letzten 30 Tagen vor ihrem Reisebeginn in China, Iran, Südkorea der den italienischen Regionen Venetien oder Lombardei aufgehalten haben (…)“, hieß es daher in eine E-Mail von Hapag Lloyd-Cruises, die mich zwei Tage vor dem geplanten Abflug erreicht hat. Auf ungläubiges Staunen – schließlich war ich ja nur für einen einzigen Tag in Italien – folgte bald die Erkenntnis, dass es für die Kreuzfahrtreedereien weltweit derzeit gar keine andere Möglichkeit gibt, sich und die Menschen an Bord zu schützen. Denn wer will schließlich erneut ein Drama riskieren, wie es sich auf der Diamond Princess abgespielt hat: Fast 620 Passagiere und Besatzungsmitglieder erkrankten während der Zwangsquarantäne im Hafen von Yokohama, sechs sind sogar an dem Virus gestorben.
Wer angesichts dieser Zahlen weiterhin glaubt, dass selbst radikale Vorsichtsmaßnahmen übertrieben sind, oder wer mit dem Gedanken spielt nicht ganz ehrliche Angaben vor der Abreise zu machen, riskiert Menschenleben und trägt außerdem dazu bei, dass es vielleicht erneut zu so unschönen Szenen kommt, wie sie sich gerade erst vor ein paar Tagen in La Reunion abgespielt haben: Aus Angst vor den rund 2.000 Passagieren, die mit der Sun Princess auf der Trauminsel anlegen wollten, hatten Einheimische im Hafengebiet mehrere Mülleimer in Brand gesetzt. So wollten sie verhindern, dass Ausflugsbusse und Taxis das Schiffe erreichen.
Da klingt es fast wie Hohn, wenn Helge Grammerstorf, Direktor des Kreuzfahrt-Verbands CLIA im Interview mit der „Welt am Sonntag“ behauptet, dass der „Kreuzfahrer an sich eine gesunde Gelassenheit besitzt“. Neben strengen Reiseverboten (auch wenn sie einen auch mal selbst betreffen können) gilt es für die Reedereien auch die Sorgen und Unsicherheiten an Bord und an Land ernst zu nehmen und verantwortungsvoll darauf zu reagieren. Mit Sätzen wie „Viel frequentierte Flächen wie Fahrstuhlknöpfe, Handläufe oder die Reling werden noch häufiger als bisher desinfiziert. (…) Angesichts der umfassenden Präventivmaßnahmen gehen wir davon aus, alles Erforderliche getan zu haben“, wird man der momentanen Situation jedenfalls nicht gerecht. Erschreckend eigentlich, dass sie vom Direktor jenes Verbandes, der die Interessen von mehr als 50 der weltweit größten Kreuzfahrtanbieter vertritt, geäußert werden dürfen …