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Und jetzt die Parade mit den Wunderkerzen!

08. September 2020

Ich gestehe, gestern Abend bin ich beim Durchzappen bei einer alten Folge vom Traumschiff hängengeblieben...

Gedreht wurde damals noch auf der MS Deutschland – einem Schiff, das ich nie sonderlich mochte, weil es mir einfach zu miefig, piefig, spießig war und mich mit seinem ganzen roten Plüsch, den falschen Stuckelementen sowie den auf Hochglanz polierten Goldputten immer ein bisschen an ein schwimmendes Boudoir erinnerte … Zu seiner Zeit galt es jedoch als das Nonplusultra in Sachen Luxus auf See. Unglaublich, wie sich die Kreuzfahrtbranche seitdem verändert hat! Oder kann sich heute noch irgendjemand ein 5*-Schiff mit gerade einmal fünf Balkonkabinen, und einem einzigen Restaurant, in dem in zwei Sitzungen gespeist wurde, vorstellen? Auch der Tagesablauf sah damals noch ganz anders aus: Gleich nach dem Frühstück freute man sich bereits auf die 10-Uhr-Bouillon an Deck und vor dem Abendessen war man zunächst einmal nicht mit seinem Aperitif, sondern vor allem mit der Kleiderordnung beschäftigt: Reicht heute ein heller Anzug ohne Krawatte oder muss es doch der klassische Schwarze mit Schlips bzw. das Dinner Jackett samt Fliege sein?
Von solchen Vorgaben sind wir heute gottseidank seemeilenweit entfernt. Statt Vormittagsbouillon gibt’s inzwischen volles Programm rund um die Uhr und statt einem strikten Dresscode zumeist so viele Dining-Outlets an Bord, dass man sich selbst entscheiden kann, ob man in Shirt und Jeans oder Smoking und Abendkleid speisen will.

Und auch das
Publikum hat sich stark verändert: Während ich vor 20 Jahren noch oft für ein Besatzungsmitglied in Zivil gehalten wurde („Junger Mann, können Sie in meiner Kabine mal nach dem Abfluss schauen?“ – „Gnädige Dame, ich bin nicht der Bordklempner, sondern ein mitreisender Passagier, handwerklich völlig ungeschickt und jetzt auch schon Anfang 30, deshalb vielen Dank für den jungen Mann“), kam ich mir auf meiner letzten Kreuzfahrt bei der Yogastunde am Pool schon ganz schön alt (und ungelenk) vor.

Dass sich die
Branche in so kurzer Zeit so sehr gewandelt hat, lag wohl an jeder Menge Faktoren – angefangen bei den technischen Möglichkeiten, die plötzlich Megaliner für bis zu 7.000 Passagiere erlaubten, bis hin zur Trend gewordenen Entschleunigung und dem Wunsch nach langsamem Reisen. Dass wir jetzt vor dem nächsten großen Wandel stehen, kam völlig überraschend. Ganz sicher wird er aber noch viel gravierender ausfallen, als der letzte.

Gerade habe ich
übrigens die MS Deutschland gegoogelt. Unter dem alten Namen ist sie inzwischen für Phönixreisen unterwegs: Eine Woche „Frühjahrszauber in Fjordnorwegen“ sind derzeit ab 799 Euro in der 3(!)-Bettinnen(!)kabine auf dem Steuermanndeck buchbar. Miefig, piefig, spießig? Ich glaube, ich werde trotzdem zugreifen. Wer weiß, was nachkommt …


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