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Nun ja, denkt man, von der Fähre betrachtet sieht Syros auch nicht viel anders aus als das benachbarte Mykonos oder Paros: Felsen eben und dazu karge Hügel. Ein echter El Greco soll dort zu bewundern sein? Das hatte mir zumindest jemand ins Ohr geflüstert. Doch dann legt sich das Schiff in die Kurve, läuft in die weite Bucht von Ermoupoli ein. Und man staunt: Das Städtchen rankt sich über zwei Hügel, jeder von einer mächtigen Kathedrale gekrönt, zu Füßen farbenfrohe Bauwerke im neoklassischen und venezianischen Stil. Säulen, Bögen und Balkone schmücken die Häuser. Eine kolossale Kuppel streckt sich gen Himmel, saphirblau schillernd wie ein Edelstein.
Ob die schmucken Fassaden das Wohlergehen der Insulaner widerspiegeln? Ein gewaltiger Schiffsrumpf an der linken Hafenseite könnte eine Quelle des Wohlstands sein. Die Geschichte der Werft geht gar nicht so weit zurück.
Im 19. Jahrhundert nämlich prunkte auf Seekarten der britischen Admiralität der Name Syros fetter als der von Greece.
Doch bereits in der Antike war die Insel ein wichtiger Knotenpunkt mediterranen Handels. Als Syrii taucht sie sogar in Homers Odysseus auf. Ermoupoli indes entfaltete sich erst nach 1822. Das war eine Folge des griechischen Aufstands gegen die Türkenherrschaft. 5.000 Flüchtlinge, überwiegend von der Insel Chios, fanden hier damals eine neue Heimat. Die Menschen im 600 Jahre älteren Ano Syros empfingen sie mit offenen Armen. Zum einen, weil beide Gruppen dem katholischen Glauben anhingen – im Gegensatz zu griechisch-orthodoxen Gemeinden anderswo. Und zum anderen – und dabei spielt Weitsicht eine dominierende Rolle – weil die Neuankömmlinge Handwerk und Wissenschaften im Gepäck hatten. Klug gedacht, denn sie gründeten das erste Krankenhaus und das erste Gymnasium in Griechenland. Ebenfalls die erste moderne Werft, aus der dann auch das erste Dampfschiff vom Stapel lief. Zudem entstanden Webereien, Seifenfabriken und Gerbereien. Deshalb galt Ermoupoli, benannt nach Hermes, dem Gott des Handels, um die Jahrhundertwende auch als prachtvollste und eine der reichsten Städte des Landes. Bis heute ist Syros Verwaltungszentrum der Kykladen, die es kreisförmig umschließen. Und so wundert man sich, dass die Insel in Sachen Tourismus eher ein Gänseblümchen-Dasein fristet. Ein entzückendes allerdings.
Auf die Frage, warum, lächelt meine attraktive Gastgeberin Terezdina Rigouzzo verschmitzt: „Ist es denn so verkehrt, wenn man vom Massentourismus ignoriert wird? Und wenn keine Kreuzfahrer unser kleines Juwel überlaufen?“
Klein ist die Insel tatsächlich, ganze acht mal 16 Kilometer in der Fläche. Sie wird von 25.000 Seelen bewohnt und verfügt über ein eher bescheidenes Netz von engkurvigen Straßen, manche aus Schotter. Die junge Griechin ist Inhaberin des B&B-Hotels Pino di Loto. Der Name ist ihrem Großvater gewidmet. „Im Schatten der Pinie genoss er den Nachmittag“. Der knorrige Nadelbaum steht noch, umzingelt von Steinbecken. Zu Opas Zeiten wurde darin Wein getreten, wie Terezdina erklärt. Die Hotelanlage mit sechs Suiten, zwei davon mit Mini-Pool, schichtet sich auf drei Terrassen über dem Fischerdorf Kini. Ein Träumchen in Schneeweiß, ausgestattet mit Naturmaterialien des griechischen Produzenten Coco-Mat. Die schmale Straße hinunter zu den beiden Sandstränden eignet sich nicht unbedingt für kaputte Knie. Doch der Blick in zauberhafte Gärten lenkt vom Schmerz ab. Darin reifen Granatäpfel und Trauben, Oliven und Zitrusfrüchte. Bougainvilleas setzen dicke Farbtupfer.
Geheimtipp in Griechenland
Schönste Zeit für einen Aufenthalt sind die Herbstferien. Die Sonne sticht nicht mehr so heiß wie im Hochsommer, und das kristallklare Meer hat noch 26 Grad. Der Charme griechischen Alltagslebens gewinnt dann wieder Oberhand, mehr urban fokussiert denn auf Badevergnügen. Am Wochenende allerdings ist in Kini nochmal Trubel angesagt. Als wäre es die letzte Gelegenheit zum gemeinsamen Schmaus, bevor der stille Winter Einzug hält. Am Strand sind lange Tische aufgebaut. Nach und nach treffen Mitglieder von Großfamilien ein. Aus Athen, wie es heißt. Die weißhaarigen Alten richten sich an einem Ende der Tafel ein, in der Mitte sitzen die erwachsenen Kinder, am anderen Ende zappeln die Enkel. Eifrige Kellner bauen Weinflaschen und Karaffen mit Wasser auf, servieren Platten mit frisch gebackenem Weißbrot, bunten Salaten, frittiertem Meeresgetier. Ganze Fische und Garnelen folgen, umgarnt von Gemüse und Kartoffeln. Die Szenerie wäre hollywoodreif. Zumal Kleidung, Frisuren und Sonnenbrillen der Gäste für gekonntes Styling sprechen. Und für gut gefüllte Konten. „Sie besitzen hier Ferienhaus oder Villa. Manche vermieten im Sommer“, sagt Terezdina. Mich erinnert das gesellschaftliche Flair ein bisschen an Sylt. Genauso wie dort punktet die Insel mit urigen Tavernen am Wasser ebenso wie mit feinen Restaurants. Gekocht wird frisch und delikat, egal ob traditionell oder modern.
Im Herbst rollt wenig Verkehr über die marmorgepflasterten Straßen im Zentrum von Ermoupoli. Ich bummele über die piekfeine Promenade, freue mich über Terrassen-Cafés ohne Andrang, die sich im Schulterschluss jenseits der Hafenstraße reihen, und in den Fußgängergassen über reizvolle Boutiquen. Auch darin eher coole Fashion als kitschige Souvenirs. Mir fallen die zahlreichen Optiker ins Auge. Auf Schnäppchen sollte man freilich nicht hoffen. Nicht bei Klamotten und schon gar nicht bei Brillen. Es sind eher High-End-Labels, die verkauft werden. „Woanders mögen es Pumps von Jimmy Choo sein, auf die Damen erpicht sind, hier sind es Sonnenbrillen“, sagt Stavros Kois. Der zarte Mann, der im Laufe des Tages mehrmals und stets mit anderer Brille meinen Weg kreuzt, ist so etwas wie der König unter Syros Optikern. Liebenswert, modisch gekleidet und höchst gastfreundlich. Er zeigt mir sein Elternhaus, eine palazzoartige Residenz von 1860 gleich um die Ecke seines Flagship Stores. Ich bewundere die wunderschönen Deckenfresken im Salon, die museumsreife Zahnarztpraxis, die sein Vater betrieb, und eine ebensolche Küche, dazu viel Stuck und Schnörkel. „Wenn Sie nächstes Mal kommen, können Sie gern hier wohnen“, sagt er. Das Haus steht leer. Hätte ich genügend Geld, würde ich es sofort kaufen. Stavros Kois schüttelt den Kopf. „Ich liebe mein Erbe und werde es auf jeden Fall bewahren“. Auf seiner Website finde ich das Video von Robie Williams „Feel“: „Real love, feel the home I live in“, lautet da eine Zeile. Passt!
Greek Glamour für Kenner
Ein Tipp von Terezdina ist die Taverne Plakostroto im Dörfchen San Michaelis. Luftlinie von Kini sind es nur ein paar Kilometer, doch über die kurvige Straße dorthin braucht man eine Stunde. Es geht an der Festungsstadt Ano Syros vorbei immer bergan. Die Kapelle Argos Mihail markiert den höchsten Punkt. Gut, wenn man die zeitaufwendige Anfahrt richtig kalkuliert. Sonst verpasst man den grandiosen Sonnenuntergang. Ich bin mit Freunden unterwegs. Hätten wir nicht reserviert, wäre kein Platz mehr frei gewesen. Tief unten taucht der Feuerball in die Ägäis. So gut wie jeder Gast postet wahrscheinlich „schönster Sunset der Welt“ auf Instagram. Der griechische Wein fließt – jetzt nicht an Udo Jürgens denken – die abwechslungsreiche Hausmannskost ist üppig und lecker, der Preis unglaublich. Wir teilen die Rechnung, 20 Euro pro Person inklusive ordentlichem Trinkgeld. Am nächsten Morgen fällt mir der El Greco wieder ein. Die Ikone hängt in einer Kirche im Psaraviertel. Ich muss zugeben, das Gemälde fiel mir nicht gleich ins Auge. Ein im wahrsten Sinne des Wortes kleines Frühwerk des Hauptmeisters des spanischen Manierismus. „Entschlafung der Jungfrau Maria“ heißt das Bild, gemalt 1567. Erst 1983 wurde es als Original des aus Kreta stammenden Künstlers analysiert. Die späte Erkenntnis klingt wie eine Metapher für Syros. Wohlmöglich dauert es noch ein paar Jahre, bis dieses Inseljuwel zweifelsfrei als solches erkannt wird.