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Direktor der weltweit größten Reisemesse rechnet spätestens in 2023 mit Erholung der Branche



Die ITB ist die weltweit bedeutendste Leistungsschau der Reiseindustrie und gilt als zuverlässiges Stimmungsbarometer der Branche. Sie und Ihr Team haben die Ohren an 365 Tagen im Jahr am Markt – sind im ständigen Austausch mit Partnern rund um den Globus. Was bewegt Ihre Aussteller in diesen Wochen mehr: Verzweiflung, Zuversicht oder Unsicherheit?

Die Auswirkungen der weltweiten Pandemie haben zweifelsohne zu einer schweren Krise in der globalen Tourismusindustrie geführt. Dennoch spüren wir eine große Zuversicht im Markt, die auch getragen wird von dem Beginn der Impfungen in vielen Ländern. Die Schutzimpfung gibt der Branche zumindest eine dringend benötigte Perspektive – auch wenn der Impfstart wie in Deutschland noch holprig verläuft. Diese Zuversicht können wir auch ganz konkret an den mehr als 2.800 Ausstellern aus 120 Ländern festmachen, die sich bisher für unsere Plattform ITB Berlin NOW angemeldet haben. Neben Ausstellern aus dem Ausland sind bereits auch die 16 deutschen Bundesländer registriert. Ein wichtiger Indikator ist für uns traditionell auch der ITB Buyers‘ Circle – ein Kreis aus 1.000 Top-Einkäufern. Für ihn haben wir ähnlich viele Bewerbungen erhalten wie in den vergangenen Jahren. Ein starkes Indiz dafür, dass es eine spürbare Zuversicht in den Markt sowie in unser Messe-Konzept gibt. Wir rechnen aktuell auch damit, dass die Hauptaussteller der ITB Berlin NOW noch viele, weitere Unteraussteller mitbringen werden. Wir befinden uns nämlich gerade in der Onboardingphase, in der Aussteller und Mitaussteller ihre Brand Cards einrichten und Profile pflegen. Wir sind gespannt, wie viele Aussteller schlussendlich die virtuellen Möglichkeiten für Networking, Business, Content und News nutzen werden. Wir nehmen noch bis 8. März Anmeldungen von Ausstellern entgegen.

Bis zur Rückkehr zur alten Stärke seiner Airline werden nach den Worten vom Lufthansa CEO Carsten Spohr „noch viele Jahre“ vergehen. Teilen Sie seine Einschätzung auch für die gesamte globale Travel Industrie?

Die globale Reiseindustrie hat schon in vielen Krisen ihre Stärke und Innovationsfähigkeit bewiesen. Obwohl die Corona-Pandemie gewiss zu einem existenziellen Einbruch weltweit geführt hat, bin ich überzeugt, dass die Branche sich in weiten Teilen bis 2022 oder spätestens 2023 erholen wird. Dazu beitragen wird sicherlich die Reiselust und der Innovationgeist der Menschen. Der Wunsch, wieder zu verreisen, ist bei vielen von uns weltweit nach den Monaten des Lockdowns gewachsen. Nun liegt vieles an dem wissenschaftlichen Fortschritt und der Zusammenarbeit weltweit.

Auch ohne den Blick in die Glaskugel: Wird die Pandemie – sollte sie denn überstanden sein – das Reiseverhalten der Menschen mittel- bis langfristig grundlegend verändern?

Das Reiseverhalten der Menschen hat sich im Laufe der Pandemie verändert. Das belegt der Boom der Deutschland-Reisen und das Bedürfnis nach mehr Abstand, von dem beispielsweise Ferienhausanbieter profitiert haben. Die ITB hat mit dem Daten- und Marktforschungsinstitut Statista dazu eine Studie veröffentlicht, welche prognostiziert, dass eine Erholung des Reise- und Tourismusmarktes bis 2023 in Sicht ist. Der Wunsch, fremde Länder zu entdecken und in andere Kulturen einzutauchen, bleibt vielen Menschen erhalten. Von einem grundlegenden und nachhaltigen Wandel des Reiseverhaltens gehe ich daher nicht aus. Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, ist sicherlich die künftige wirtschaftliche Entwicklung weltweit. Mögliche finanzielle Einbußen bei Verbrauchern können das Reiseverhalten beeinflussen.

In den vergangenen Jahren hat der Luxustourismus einen wahren Boom erlebt: In nahezu sämtlichen relevanten Reisedestinationen sind Hotel und Resorts mit Angeboten für das besonders anspruchsvolle Klientel quasi aus dem Boden geschossen. Ihre Einschätzung: Ist dieser „spitze“ Markt gesättigt? Oder wird dieses Marktsegment weiterwachsen?

Wir sehen im Markt für Luxustourismus weiterhin große Wachstumspotentiale, daher bieten wir auf der ITB Berlin NOW das Segment „Home of Luxury by ITB“ an. Hier werden genau diese Themen diskutiert. Der Wunsch nach Abstand und Abgeschiedenheit wurde im Luxussegment in vielen Fällen nicht nur vor, sondern auch während der Pandemie erfüllt. Viele Hotels und Resorts sind insofern bereits sehr gut aufgestellt. Hinzu kommt, dass Luxusurlauber oft nicht in dem Maße von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise betroffen sind, wie es beispielsweise ein Facharbeiter ist. Deshalb sehen wir auch künftig gute Wachstumschancen für dieses Marktsegment.

Mit dem „Home of Luxury by ITB“ wollten Sie dem Luxustourismus bereits vor Ausbruch der Pandemie verstärkte Aufmerksamkeit widmen. Welche Veränderungen erwarten Sie von diesem Segment?

Im Luxussegment zeichnete sich schon vor der Corona-Pandemie ein Paradigmenwechsel ab. Luxus definiert sich zunehmend immateriell. Statt Opulenz und Überfluss sind Selbstfindung, Simplizität und Authentizität gefragt. Diese Entwicklung verstärkt sich momentan noch. Mit dem „Home of Luxury by ITB“ schaffen wir auch 2021 einen (nun digitalen) Ort für die globale Luxusbranche geschaffen, um über die Bedürfnisse der Top End-Reisenden zu sprechen und wie Anbieter dieses Segment erfolgreich erschließen können. Dieser Bereich nennt sich auf unserer Plattform übrigens „Café“.

Die ITB Berlin ist in 2020 erstmals ausgefallen und 2021 als virtuelle Leistungsschau organisiert. Hand aufs Herz: Werden wir wieder eine ITB Berlin erleben, wie wir sie in Erinnerung haben: Alle Hallen ausgebucht und teilweise sogar mit Wartelisten – und mit Besuchern, die sich über das Messegelände drängen und in den Hotels, Restaurants und Shops der Hauptstadt für Geschäft sorgen? Ist das bekannte Format „old school“ und damit tot? Ein „wieder weiter so wie gehabt“ oder wird sich die ITB Berlin neu erfinden müssen?

Für das kommende Jahr planen wir eine physische ITB Berlin live vor Ort vom 9.- bis 13. März 2022 und halten uns gleichzeitig auch alle Optionen offen, um die ITB Berlin mit einer zusätzlichen Online- Veranstaltung inhaltlich und zeitlich zu erweitern. Hybride Messeplanung bedeutet für uns, die essentiellen Bausteine einer realen und digitalen Branchenveranstaltung auf optimale Weise miteinander zu verbinden – dazu zählt der Charakter der ITB Berlin als internationaler Marktplatz und Think Tank auf der einen Seite sowie die Bedeutung als Networking-Plattform, Newsquelle und Katalysator für Business-Netzwerke auf der anderen.

Das Gute an dieser Lösung ist: Alle Zielgruppen erhalten so auf die beste Weise, die Chance, am Messe-und Kongresserlebnis teilzuhaben, sowohl dem Teilnehmer am Laptop in entlegenen Ecken der Welt, als auch Besuchern vor Ort auf unserem Messegelände – also zwar komplett unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort. Die Möglichkeiten dafür sind umso vielfältiger, wenn wir die geschäftlichen und persönlichen Begegnungen online ergänzen, indem wir sie inhaltlich wie zeitlich ausbauen.
Wir nutzen jetzt die Chance, das Konzept der weltweit größten Reisemesse nachhaltig zu verändern und in ein neues Zeitalter zu führen. Denkbar ist beispielsweise ein digitaler Auftakt der Messe mit einem anschließenden physischen Konzept.

Die ITB ist nicht nur in Berlin präsent, sondern hat sich mit der ITB Asia in Singapore und der ITB China in Shanghai fest als Leitmesse für die Reisebranche etabliert. Darüber hinaus ist die ITB India in Mumbai in Vorbereitung. Virtuell oder als klassische Messe – in welchem Format werden die kommenden Messen in Asien organisiert? Was berichten Ihnen Ihre Kollegen aus der Region? Und – wann rechnen Sie mit einer Rückkehr der Reisenden aus Asien nach Europa/Deutschland?

Bei der ITB Asia in Singapur, die im kommenden Oktober stattfindet, werden wir das kombinierte Konzept aus digitalem Auftakt und anschließender physischer Messe testen. Die ITB India in Mumbai wird hingegen vom 7. bis 9. April 2021 rein virtuell durchgeführt. Auch bei unseren Partnern in Asien ist eine große Aufbruchsstimmung spürbar. Vor Corona wuchs die Zahl der Reisenden aus Asien nach Europa und Deutschland kontinuierlich. Nach der erfolgreichen Premiere der ITB China Industry Meetup Events letztes Jahr werden wir 2021 eine ITB China Special Edition durchführen- ein zweitägige Business-Event vom 7. bis 8. Mai in Peking, das Messe- und Kongresselemente vereint. Die reguläre ITB China wird zusammen mit der parallel stattfindenden ITB China Conference in Shanghai auf den 24. bis 26. November 2021 verschoben. Ich bin überzeugt, dass asiatische Reisende auch bald wieder international bzw. interkontinental reisen werden, sobald es die Umstände zulassen – wenn auch nicht auf dem gleichen Niveau wie vor der Corona-Krise.

Sollte die ITB Berlin im kommenden Jahr 2022 als Hybrid-Veranstaltung oder wieder ganz klassisch stattfinden: bleibt es beim Wochenende für das breite Publikum? Oder hat sich dieses Angebot auch überholt?

Dieses Jahr haben wir uns aufgrund der aktuell sehr dynamischen Lage für eine rein virtuelle B2B-Messe- ausschließlich für Aussteller, Fachbesucher und Medien- entschieden. Für Konsumenten findet gleichzeitig jedoch wieder unsere Partnerveranstaltung, das Berlin Travel Festival statt – ebenfalls in rein digitaler Form. Zeitgleich zur ITB Berlin NOW werden auf der Website des Festivals abends täglich von 19 bis 22 Uhr Online-Reisedokumentationen gestreamt, die Reisenden mit frischen Impulsen für die nächste Urlaubsreise versorgen. Für ganz konkrete Prognosen im Hinblick auf 2022 ist es s noch ein bisschen zu früh. Aber natürlich möchten wir in Zukunft auch wieder das breitere Publikum in unseren Messehallen unter dem Funkturm begrüßen.

Ihre Einschätzung:
a) Wird sich im internationalen Reiseverkehr eine Art Impf-Nachweis durchsetzen?

Um größtmögliche Sicherheit für Reisende und Mitarbeiter zu gewährleisten und gleichzeitig mögliche Schließungen aufgrund von Corona-Ausbrüchen vorzubeugen, ist es durchaus denkbar, dass ein Großteil der Industrie künftig auf Impf-Nachweise setzen wird. So neu ist das aber gar nicht. In vielen Teilen der Welt ist heute bereits der Nachweis einer Gelbfieber-Impfung nötig. In Ostafrika gehört bei Reisen zwischen den Ländern vielerorts der Impfpass so dazu wie etwa der Reisepass.

b) Wird die Pandemie – wie es Zukunftsforscher prognostizieren – den „Abgesang“ auf den Massentourismus einläuten? Stichwort: Überall dort, wo Menschenmassen zusammenkommen, wird es wahrscheinlich auf Dauer unangenehm und schwierig bleiben. Eine Pandemie gräbt sich ins Gedächtnis und ins Verhalten, schafft neue 'Sitten und Gebräuche' – und etwas mehr Distanz gehört sicher dazu.

Die Pandemie bringt auch die Chance mit sich, das Konzept Reise und Urlaub neu zu erfinden. Overtourism und die Klima-Erwärmung haben schon vor Corona eindringlich gezeigt, dass wir unsere Haltung dem Reisen gegenüber ändern müssen. Auch wenn die Zukunft unserer Branche anders sein wird, wird sie ja nicht unbedingt schlechter sein. Aufgrund der weltweiten Pandemie bleiben bis dato viele Urlaubsorte sehr überschaubar bis leer. In wieweit diese ungewollte Zwangspause den Tourismus weltweit beeinflusst oder sogar verändert, werden Experten auch auf dem ITB Berlin Kongress diskutieren.

c) Zukunftsforscher gehen auch davon aus, dass Reisen künftig nicht mehr selbstverständlich sein wird nach dem Motto: Reisen für jede Klasse und jede Kasse. Es werde sich eine Spaltung in „mobile und immobile Bevölkerungsgruppen“ abzeichnen.

Reisen wird wieder deutlich an Wert gewinnen. Damit meine ich nicht nur den Preis eines Urlaubs. Die Bedeutung des Reisens als Quelle für Erlebnisse und Erinnerungen ist während der Pandemie gestiegen. Wir haben alle erlebt, was es bedeutet, wenn diese Freiheit plötzlich eingeschränkt wird. Auch wenn die Wahl des Reiseziels und die Ausgestaltung des Urlaubs schon immer stark vom jeweiligen Budget abhängen, halte ich es deshalb für wichtig, dass alle Bevölkerungsgruppen weiterhin die Möglichkeit haben werden zu reisen.

Eine persönliche Frage: Wohin wird Ihre erste Reise Sie und Ihre Familie führen, wenn die Reisebeschränkungen fallen?

Als erstes werden wir meine Eltern am Zürichsee besuchen und von da aus einen lange geplanten Ausflug aufs Jungfraujoch machen.



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