Tropische Regenwälder, alpine Berggipfel, karibische Strände sowie ein Hauch von good, old England an Portugals westlichem Ende: Auf gerade einmal 800 km2 präsentieren sich das kleine Madeira und das winzige Nachbareiland Porto Santo wie die große, weite Welt. Naheliegend, dass wir die Inseln mitten im Atlantik all denen empfehlen, die sich derzeit in die Ferne sehnen.
Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Auf Madeira gilt das auch für die Anzahl möglicher Landeanflüge auf den Cristiano-Ronaldo-Airport. Tückische Scherwinde – nicht selten ebenso stürmisch, wie der Fußballgott und Namensgeber des Flughafens selbst – erfordern mitunter beherzte Durchstartmanöver. Wenn dann beim dritten Versuch noch immer kein laueres Lüftchen von den Bergen runterweht, heißt es zumeist nach Porto Santo, Teneriffa, oder Marrakesch ausweichen und dort auf besseres Wetter warten. Doch heute geht alles gut. Nach einer letzten langgezogenen Rechtskurve direkt vor der Küste sinkt unser TAP-Airbus sanft und souverän in Richtung Landebahn. Die beste Adresse, um mit einem Gläschen Champagner sowie einem Tässchen Tee auf die geglückte Ankunft anzustoßen? Die Terrasse vom Reid’s Palace! Hoch über dem Hafen von Funchal gelegen, zelebriert man hier bereits seit 1891 die hohe Kunst des nachmittäglichen High Teas. Silberne Etageren mit feingeschnittenen Gurkensandwiches, kunstvoll verzierten Pralinés sowie süß-salzigen Scones samt Clotted Cream und Erdbeermarmelade werden dann an die weiß gedeckten Korbtischchen getragen. Begleitet wird das Ganze von einem 24 Positionen umfassenden Teemenü – und dem bereits erwähnten Glas Champagner. Der Queen würd’s gefallen, und auch ihr Lieblingspremierminister Winston Churchill war mehr als „amused“.
Gleich mehrfach kam er ins Reid’s, um sich fernab vom Londoner Winter die Atlantiksonne auf den Borsalino scheinen zu lassen. Zu den weiteren berühmten Gästen, deren Porträts sich über die Hallen und Hotelgänge verteilen, gehörte neben George Bernhard Shaw und Charlie Chaplin auch Kaiserin Sisi, die hinter den pinkfarbenen Mauern des Hotelpalast sogar Geburtstag feierte.
Auf ihren hundertköpfigen Hofstaat müssen wir zwar verzichten, in unserer hoch über den Palmenwipfeln des hoteleigenen Privatgartens thronenden Suite sowie im William, dem sternegekrönten Gourmetrestaurant vom Reid’s, fühlen wir uns aber trotzdem wie die Könige…
Funchal first
Der erste Tag gehört der Inselhauptstadt. Das war schon bei unserem ersten Madeira-Aufenthalt vor vielen Jahren so – und daran hat sich bis heute nichts geändert: Im Hafenbecken nachschauen, welche Yachtbesitzer auf Transatlantikkurs sich seit dem letzten Besuch mit bunten Bildern auf der Kaimauer verewigt haben. Auf der eleganten Avenida Arriaga einen Espresso mit Zimtstange statt Zuckerlöffel schlürfen. Und, immer wieder ein Hochgenuss: In der Markthalle mindestens eine Inselfrucht probieren, von der man vorher noch nie gehört hat (diesjährige Entdeckung: Cherimoya, ein auch als „Zimtapfel“ bekanntes Winterobst, das jedoch weder nach Zimt noch nach Apfel schmeckt, dafür aber nach Ananas und Banane). Es gibt Rituale, die gehören eben zu Madeira, wie der gleichnamige Wein, den man, gleich gegenüber vom Jardim Municipal, im Stammhaus von Blandy’s in bis zu 50 Jahre alten VintageAbfüllungen verkosten kann. Sehr viel jünger ist die Streetart, die sich ein paar hundert Meter weiter im altem Fischerviertel bewundern lässt. Sie entstand im Zuge der Wiederaufbauarbeiten nach dem großen Erdrutsch im Jahr 2010.
Damals erlaubte Funchals Stadtregierung jedem, der ein kreatives Konzept vorlegen konnte, das Bemalen einer der vielen hölzernen Haustüren. So entstand eine Freiluftgalerie mit rund 200 Werken – von kitschig bis tatsächlich kunstvoll. Dort, wo die Altstadt aufs Meer trifft, befindet sich im Jardim do Almirante Reis die Talstation der Gondelbahn nach Monte. 15 Minuten dauert die Fahrt über Funchals Dächer, Gärten, Gassen und Bananenplantagen. Für Schwindelfreie ist das ein himmlisches Vergnügen. Allen anderen empfiehlt sich stattdessen eher ein Taxi. Oben angekommen, lohnt ein Besuch im Jardim Tropical Monte Palace, der zu den zehn schönsten botanischen Gärten der Welt gehört und auf ebenso verschlungenen wie steilen Pfaden durch die Welt der Orchideen, Baumfarne, Palmen und Schlingpflanzen führt. 600 Meter über dem Meer gelegen und von Sonne, Regen und Nebel gleichermaßen verwöhnt, kann man dem Dschungelgrün hier quasi beim Wachsen zuschauen. Darüber hinaus gilt es auf dem 70.000 m2 großen Gelände aber auch noch, portugiesische Kachelbilder, afrikanische Masken, japanische Pagoden, chinesische Terrakotta-Krieger und ein Manor House im altenglischen Stil zu bewundern. Haben wir eigentlich schon erwähnt, dass auch Funchal fein gegen Fernweh wirkt?
Eine Insel wie ein Garten Eden
Auf der Fahrt von der Südküste in Richtung Nordosten werden die Berge höher, die Wolken dichter und die Straßen kurviger. Was unverändert bleibt, sind jedoch die frühlingswarmen Temperaturen, die dem Thermometer selten große Sprünge über oder unter die 20°C-Marke erlauben. Obst und Gemüse wird hier ganzjährig in kleinen, terrassenförmig angelegten Gärten geerntet, und auch der Wein wächst in diesem Klima von den Steilhängen hoch über dem Meer bis hinunter an den pechschwarzen Lavastrand. Neben dem likörartigen Madeira werden an der Nordküste seit ein paar Jahren auch ausgesprochen eigenständige Rot- und Weißweine gekeltert. Zu den Pionieren gehören die Winzer der Quinta do Barbusano. In ihrem Weingut in den Hügeln über Sao Vicente spaziert man im Rahmen einer geführten Tour zuerst durch die Rebgärten und genießt im Anschluss ein simples Mittagsmahl mit Weinbegleitung. Serviert werden die inseltypischen Espetadas (gegrillte Rindfleischstücke am Lorbeerzweigspieß) mit Bolo do Caco (warmes Süßkartoffelbrot mit Knoblauchbutter) und Milho Frito (frittierte Maisgrießwürfel). Dazu ein simpler Salat, und fertig ist ein Lunch, der besser kaum schmecken und aussichtsreicher ganz sicher nicht serviert werden könnte.
Apropos Aussicht: Mit einem Blick, der einem den Atem raubt, kann auch die Quinta do Furao aufwarten. Auf einem weinbewachsenen Felsplateau mehrere hundert Meter über dem Meer gelegen, erinnert uns das sonnengelb gestrichene Landgut mit seinem Infinity Pool zwischen Rebstöcken ein bisschen an Südafrika. Außerdem gefällt uns der Laidback Luxury, das country-chice Ambiente und der kleine Spa-Bereich – vor allem er macht die Quinta auch zur perfekten Ausgangsbasis für ausgedehnte Expeditionen in die Berge und Wanderungen entlang der Levadas.
Wassermusik für Wanderer
Rund 1.300 der steinernen Kanäle durchfließen auf mehr als
2.000 Kilometern Länge die gesamte Insel. Es ist ein ausge-klügeltes, streckenweise mehr als 500 Jahre altes Wegenetz, das gepflegt gehört, damit tatsächlich alles fließt und nichts verstopfen oder lecken kann. Dafür wurden entlang der Levadas schmale Uferpfade angelegt. Die Levadeiros, hauptberufliche „Wächter des Wassers“, nutzen sie für ihre Kontrollgänge. Uns Wanderern dienen sie hingegen als „analoges Navigationssystem“, das uns sicher über die Insel leitet. Nur da, wo die Wassermusik der Levadas plötzlich lauter wird und von dur auf moll wechselt, weil sich Wasserfälle in die Tiefe stürzen oder Felsen den Weg versperren, ist schon mal Trittsicherheit gefordert. Ganz in der Nähe der Quinta do Furao beginnt mit der PR9 übrigens eine der spektakulärsten Levada-Wanderungen überhaupt. Vom Parkplatz bei Queimadas (schon die Anfahrt über eine kleine, von wilden Hortensien und dichten Lorbeerwäldern gesäumte Straße ist ein Erlebnis!) führt sie mitten hinein in einen dampfigen Talkessel, der an die Dschungellandschaften Südostasiens erinnert und direkt vor einem 100 Meter hohen Wasserfall endet. Nicht weniger abwechslungsreich: eine Tour von der Ponta de São Lourenço nach Porto da Cruz. Fühlt man sich am Startpunkt noch an Schottlands Highlands erinnert, kommt einem das Ziel, ein Bilderbuchdorf am Meer, durchaus karibisch vor. Zugegeben, das liegt nicht nur an all den Palmen und dem türkisblauen Wasser, sondern auch am Aguadente, dem kräftigen Schnaps, der hier bis heute aus heimischem Zuckerrohr hergestellt wird, und der mit frischem Limetten-, Mandarinen- oder Maracujasaft vermischt sowie einem Holzquirl Honig gesüßt, das Nationalgetränk Poncha ergibt.
Und dann wäre da noch Madeiras Zentralmassiv. Wer will, erreicht es zu Fuß nach einem Anstieg durch dichte Wolken und duftende Eukalyptuswälder. Wer nicht will, wählt den Mietwagen, mit dem sich der Pico di Arieiro ebenfalls erreichen lässt. 1.818 Meter misst der dritthöchste Inselberg, von dem man bei schönem Wetter bis zur 50 Kilometer entfernt gelegenen Nachbarinsel Porto Santo schauen kann. Um wie viel weiter wohl die Wellen der monströsen Radarkugel reichen, die von der portugiesischen Armee neben dem Gipfelhaus postiert wurde? Rüber nach Afrika? Bis aufs europäische Festland? Oder vielleicht sogar bis kurz vor Amerika? Erst hier oben wird klar, wie klein Madeira eigentlich ist und wie isoliert es aus dem Atlantik ragt. In einem Winter wie diesem mag es uns wie die große, weite Welt vorkommen, letztendlich bleibt es aber doch dieses winzige und wunderbare Fleckchen Waldgrün, Blütenbunt und Felsengrau im unendlichen Atlantikbau …
Wem die 1.818 Meter vom Pico di Arieiro noch nicht hoch genug erscheinen, kann von dort aus übrigens auch zum Pico Ruivo aufbrechen. Der liegt auf 1.862 Metern und ist Ziel einer hochalpinen Wanderung über schmale Stiegen, steile Treppen und steinige, drahtseilgesicherte Wege, neben denen es manchmal auf beiden Seiten mehrere hundert Meter senkrecht runtergeht. Hinter jeder Kurve und jedem engen Tunnel wartet auf dieser elf Kilometer langen Tour ein neuer Ausblick, der einem den Atem raubt – vor Glück und manchmal auch vor Erschöpfung und Ehrfurcht.
Nah am Wasser gebaut
Zurück an der Nordküste, empfehlen sich nach so einer Tour zumindest ein paar erfrischende Runden in den Naturpools von Porto Moniz oder Seixal. Die riesigen Wasserbecken wurden teilweise direkt ins Lavagestein über der wilden Brandung geschlagen und garantieren sicheren Badespaß mit Aussicht auf die meterhohen Wellen. Weil wir aber nicht nur in Pools schwimmen und auf hartem Fels entspannen wollen, planen wir für den nächsten Tag (und die nächste Nacht) einen Abstecher nach Porto Santo. Mit der Autofähre erreicht man Madeiras sonnenverwöhnte und sandstrandgesegnete kleine Schwester in ca. 2,5 Stunden. Mit dem Propellerflugzeug dauert es gerade einmal 20 Minuten. Da die Fähre in diesem Winter nur einmal täglich verkehrt (morgens hin und abends zurück), entscheiden wir uns für einen Mix aus beiden Verkehrsmitteln: Pünktlich zum Sonnenaufgang können wir so vom Schiff aus die Ausfahrt aus Funchals Hafen genießen und am nächsten Tag nach einem köstlichen Beach Lunch den kurzen Luftsprung zurück antreten.
Vom „schwimmenden Garten“ auf die „goldene Insel“
So nah Madeira und Porto Santo auch beieinander liegen, (was sind schon 50 Kilometer, wenn es bis zum europäischen Festland 20 Mal so weit ist?), so unterschiedlich ist doch das Klima auf beiden Inseln: Mit seinen 517 Metern ist Porto Santos höchster Berg, der Pico do Facho, nämlich alles andere als ein (Wolken-)Aufreißer. Regen fällt deshalb nur selten. Stattdessen herrscht fast das ganze Jahr über eitler Sonnenschein. Perfekte Konditionen also, um auch im Winter im karibikblauen Atlantik zu baden und sich dem süßen Inselleben hinzugeben. Und das spielt sich zumeist am neun Kilometer langen Traumstrand Campo de Baixo ab, der sich vom Inselhauptstädtchen Vila Baleira in Richtung Südwesten zieht. Aufgrund des hohen Kalzitgehalts verfügt der glamourös goldgelbe Sand hier über
ganz besondere Wärmeeigenschaften sowie heilende Kräfte. Das macht ihn nicht nur zum Therapeutikum, sondern auch zur guten Ausrede, um einfach noch ein bisschen länger liegenzubleiben. Viel gibt es auf Porto Santo ohnehin nicht zu tun – es sei denn, man ist Golfer. Für die wurde nämlich ein ziemlich anspruchsvoller 18-Loch-Platz, der sich fast einmal quer über die Insel zieht, erbaut. Wer sonst aktiv werden will, schwingt sich am besten aufs Leihfahrrad oder in den Pferdesattel. Oder er schnürt auch auf Porto Santo die Wanderschuhe, um eine der kleinsten Wüsten der Welt und den Aussichtspunkt Terra Chã mit Blick über die ganze Insel zu erkunden.
Unser Tipp: Im Rahmen einer Jeep-Safari erreicht man darüber hinaus auch einige der schönsten Tauch- und Schnorchel-Hotspots, die ohne Vierradantrieb und ortskundige Hilfe kaum zu finden wären. Gewohnt wird auf Porto Santo zumeist in kleineren Mittelklassehotels, die jedoch nicht selten über ausgezeichnete Thalasso-Einrichtungen verfügen. Luxus bieten lediglich zwei Häuser der Pestana-Gruppe, die in diesem Winter jedoch geschlossen bleiben. Da besuchen wir vor unserem Abflug – und dem Beach Lunch – doch lieber noch schnell das Kolumbus-Museum in Vila Baleira. Einige Jahre hat der Seefahrer mit seiner Frau auf Porto Santo gelebt. Dann wurde ihm die Insel zu klein und der Entdeckerdrang zu groß. Hätte er gewusst, dass es auf der anderen Seite vom Atlantik kaum anders ausschaut, als vor seinem rustikalen Steinhaus, er wäre vielleicht ganz einfach zu Hause geblieben …