Es muss nicht immer Meer sein. Dass man es auch als See in Bella Italia zur glamourösen Sehnsuchtsdestination bringen kann, beweist der Lago di Como zwischen Po und Alpen: umweht von VIP-Flair, umflort von Palazzi, Palmen und Platanen. Bellissimo!
TEXT: ANDREAS JAROS
Schon seit Plinius dem Älteren begleitet den Comer See ein aristokratischer Touch.
Die stimmigen antiken Dörfer, die sich an die Hügel schmiegen. Die feudalen Villen mit ihren Gärten und Parks. Die Traumaussichten. Das spezielle Mikroklima. Die alpin-mediterrane Vegetation – und dazwischen immer irgendwo ein schneeweißer Gipfel, der hinter den Konturen der Bergflanken hervorlugt und das Blau des Himmels und des Wassers auf wunderbarste Weise kontrastiert: Kein Wunder, dass die Prominenz dieser gesegneten Ferienregion so lange schon erlegen ist. Komponisten wurden von der vielfältigen Landschaft zu Opern inspiriert. Sänger zu wahren Oden an die Freude. Künstler zu Meisterwerken. Franz Liszt fabulierte 1837: „Wenn Sie die Geschichte zweier glücklicher Liebender schreiben wollen, dann hier!“ Nicht zufällig fand an den hiesigen Gestaden auch Winston Churchill Kontemplation: Er kam, sah – und malte sich den Zweiten Weltkrieg weg.
Belle Époque und Dolce Vita
Der Luxustourismus zog schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein, als die ersten Privatresidenzen ihre Besitzer wechselten und zu Grand Hotels ausgebaut wurden. Später wurden Palazzi im Art-Nouveau-Stil an die schönsten Orte gepflanzt. Die absolute europäische Elite, die neue Klasse an reichen und kultivierten Gästen, fühlte sich rasch magnetisch angezogen: Jeden Tag eine Party, jeden Tag ein Tanz – Belle Époque in Reinkultur. Man fühlte sich pudelwohl, weil unter seinesgleichen. Eingecheckt wurde mit der gesamten Dienerschaft und großem Gepäck für Wochen oder Monate, wobei einige der gebuchten Zimmer nur der Kleiderablage dienten. Geputzt wurde nicht vom Hotelpersonal, sondern vom Dienstmädchen des Gastes selbst. Die vergilbte Hotelchronik der Villa Serbelloni in Bellagio erinnert an die Kundschaft jener Jahre: „Prunk, Mondänität und vor allem ununterbrochene Überspanntheit waren an der Tagesordnung“. Schräg gegenüber in Tremezzo wäre bei einem Gast Hollywood-Gehabe noch verständlich gewesen: Aber Greta Garbo machte 1932 auf der Leinwand lieber Werbung für das ihr vertraute Grand Hotel Tremezzo und den Comer See.
Clooney als unbezahlbarer Werbeträger
70 Jahre später dann der bisher gewaltigste Glamour-Schub für die Region: Seit George Clooney 2002 die eierschalenfarbene Villa Oleandra der Familie von „Ketchup-König“ Heinz in Laglio um kolportierte 10 Millionen Dollar abkaufte, ging es steil nach oben: Mehr Tagesausflügler, mehr Nächtigungen, noch üppigere Medien-Coverage, höhere Immobilienpreise. Auch das Gästehaus, die Villa Margherita, liefert den Klatschportalen und Society-Gazetten verlässlich fettes Futter: Im Juni 2019 legten dort die Obamas einen Zwischenstopp ein, zuvor gingen schon Filmkumpel von Clooney wie Jennifer Aniston oder Adam Sandler ein und aus. Es ist im übrigen gar nicht so leicht, der Hollywood-Blase zu entkommen – selbst in einem des Glamours völlig unverdächtigen Dreisternhotel im lieblich-verschlafenen Torno: Man sitzt also im Gastgarten des Vapore, begleicht die Rechnung für Seeforellenfilet und Vino, um beim Abgang unvorbereitet auf einen ganz dicken Fisch zu glotzen: Robert de Niro an der Pinnwand auf einer Handvoll Fotos im Kreis der glücklich strahlenden Inhaberfamilie …
Auch der Schauspielgigant ist ein Freund des ein wenig aus der Zeit gefallenen Old-School-Italien, das zuletzt freilich rund um den See dezente Modernisierungstendenzen erkennen ließ. Es wird nicht mehr nur altes Brauchtum wie Kastanien- und Hexenfeste, klassische Musik oder ein Oldtimer-Korso geboten, sondern auch eine Cocktailwoche für eine jüngere Crowd. Auch dass das Design-Suitenhotel Il Sereno, sowie mit Mandarin Oriental erstmals eine internationale Luxuskette am See andockte, darf als New-Wave-Signal interpretiert werden. Wie auch immer: „The most glamorous lake in Europe“, trompetete CNN, was dem weiteren Zustrom zahlungskräftiger amerikanischer und britischer Urlauber sicher nicht abträglich war.
Ein Feuerwerk an Farben
Schon seine Form regt die Phantasie an: Ist der drittgrößte und tiefste See Italiens (über 400 Meter) nun ein auf den Kopf gestelltes Y, eine Wünschelrute oder doch ein Wanderer ohne Arme? Auf jeden Fall hat er etwas Magisches, fast Mystisches, eine eigene Aura. Je nach Tages- oder Jahreszeit kann er mal blau, mal grün sein, mal wellenschlagend und dann wieder so glatt, dass die Motorbootkapitäne glauben, „wie auf Öl“ dahinzugleiten. Die zwei wichtigsten Städte, Como und Lecco, finden sich am Ende der zwei südlichen Zweige. Ein klassischer Badesee ist der Lago di Como oder Lario, wie ihn die Italiener nennen, nicht. Von der Trinkwasserqualität österreichischer Seen kann man hier nur träumen.
Im Bellagio „Si” zum Leben und zur Liebe sagen
Als die Perle des oberitalienischen Sees lässt sich Bellagio feiern – und braucht dabei keinen Entrüstungschor konkurrierender Gemeinden zu fürchten. Einfach zu putzig, zu pittoresk ist dieses Bilderbuchdorf an der Gabelung mitten im See. Das Geflecht aus engen Gässchen mit steilen Treppen, kleinen Kunst-, Delikatessen- und Souvenirläden in Kombination mit den Arkadengängen und der Promenade – unschlagbar. Motive für Instagrammer und Lieblingsadressen von Alt-VIPs finden sich zuhauf: Im Jugendstil-Cafe Rossi ließ es sich schon Kaiserin Sisi schmecken, und gegenüber der Eisdiele Smooth Operators schmelzen Kulturfans angesichts des „Home of Liszt“ dahin.Die Nachmittagssonne spiegelt sich jetzt golden im See. Ausflugsschiffe kreuzen, Motorboote pflügen, Wasserflugzeuge brummen. Die Hochzeitsgesellschaft in der Villa Serbelloni, dem berühmtesten Hotel in Bellagio, trifft letzte Vorbereitungen. Es sind „beautiful people“ aus den USA, wie handverlesen, um das Glam-Image zu untermauern. Eine attraktive Violinistin im roten Kleid lässt als Ouvertüre zu einer langen Nacht ihr Instrument sprechen – herzzerreißend romantische Klänge zum Sonnenuntergang, während einen Brautstraußwurf entfernt Fischer in Ufernähe mit ihrer Nussschale abdrehen.
Momentaufnahmen wie aus einer fernen Zeit – dabei stammen sie aus dem goldenen Oktober 2019. Als die touristische Welt noch rosarot war und die Lombardei kein Corona-Hotspot. Im Frühling 2020, als das gewohnt zauberhafte Blütenmeer aus Azaleen und Rhododendren wogte, sah sich der Lago in eine neue Rolle gedrängt – die des Geistersees. Keine Menschenseele
draußen, kein Schwätzchen, keine Flaneure, kein Rad, kein Auto, die Hotels bis in den Sommer hinein geschlossen – und dann auch nur dünn besiedelt. Die Diagnose
für die neue Saison? Nicht nur George Clooney, der als TV-Arzt in „Emergency Room“ seinen Durchbruch feierte, hofft auf ein gesundes Happy End 2021.
ANKOMMEN
Die kostengünstigste Variante vom Flughafen Mailand-Malpensa: Für 10,90 Euro mit dem Zug über Saronno nach Como Lago, dem idealen Ausgangspunkt für Erkundungstouren. Von dort entweder mit Fähr- oder Tragflügelboot den See hoch (nur so hat man einen unverstellten Blick auf die vielen versteckten Villen) oder mit dem öffentlichen Bus C30 zum Beispiel in den schönsten Ort Bellagio. Ein Mietauto empfiehlt sich nur für jene, die enge, kurvenreiche und unübersichtliche Straßen lieben. Taxis sind teuer, der Fahrtdienst der Top-Hotels vom oder zum Airport kostete vor Corona für eine Strecke rund 180 Euro.
www.comer-see-italien.com
■ COMO
Die 85.000-Einwohner-Stadt ist ein reizendes Mini-Mailand mit einem ebenso sehenswerten Duomo.
Der Bau der Kathedrale begann 1396 in der Spätgotik. Fertigstellung: 1740, satte dreieinhalb Jahrhunderte später, im Rokoko. Trotz der unterschiedlichen Baustile wirkt die Architektur ausgesprochen harmonisch. Die berühmtesten Söhne der Stadt, Plinius der Ältere und sein Neffe, Plinius der Jüngere, sind als Statuen vertreten. Weitere Must-Sees: Das „Teatro Sociale“, „Porta Torre“ mit den am besten erhaltenen Überresten der mittelalterlichen Stadtmauer und das Seidenmuseum (Alternative: Das über 100 Jahre alte Fach-geschäft „A. Picci“ in der Via Vittorio Emanuele II 54 mit Seidenschals, Krawatten und Accessoires). Wer Como von oben erleben will, nimmt die Standseilbahn nach Brunate.
■ VILLA CARLOTTA
In Tremezzo thront diese gelungene und vielbesuchte Mischung aus Kunsttempel und botanischem Garten, auch weil der Besitzer den Eigentümer der Villa Melzi am gegenüberliegenden Ufer in Bellagio an Pracht und Prunk übertrumpfen wollte. Auf etwa 60.000 m2 und in Hanglage sprießen 150 verschiedene Arten von Rhododendren, Azaleen, Kamelien, Bambus, Farnen und exotischen Pflanzen. Eine intimere, aber ebenfalls zauberhafte Alternative wartet nur einen Spaziergang entfernt: Der barocke „Teresio Olivelli Park“ gilt noch immer als Geheimtipp.
■ VILLA MELZI
Francesco Melzi d’Eril, Mitglied einer der einflussreichsten italienischen Familien und enger Freund von Napoleon, hat dieses neoklassizistische Gebäude samt Fresken mit lombardischer Landschaftsmalerei zwischen 1808 und 1810 in Bellagio errichten lassen. Der umgebende Park mit seiner üppigen Flora (von Zitrusgewächsen bis zu einer Sequoia), Skulpturen und Statuen, war der erste am See, der im englischen Stil angelegt wurde. Im maurischen Pavillon soll sich Franz Liszt zu einigen seiner Frühwerke inspiriert gefühlt haben. Auch ein Museum und eine Familienkapelle gehören zum Komplex.
■ VILLA DEL BALBIANELLO
Kein Wunder, dass es diese dramatisch schöne Location an der Spitze der Halbinsel Lavedo zu Filmehren gebracht hat: Hier wurden Szenen für „Star Wars: Episode II“ und für das James-Bond-Movie „Casino Royale“ gedreht – Daniel Craig als 007 durfte sich in der echten Kulisse umgeben von Loggia, Balkonen, Steineichen, Zypressen und Barockstatuen aufpäppeln lassen. Die FAZ schwärmte: „Es gibt wohl nichts Weltläufigeres zwischen Mailand und den Alpen als diese ehemalige Kardinalsresidenz“. Der letzte Eigentümer war Graf Guido Monzino, ein fanatischer Forscher, Entdecker und Bergsteiger, der das Anwesen der italienischen Denkmalpflege- und Naturschutzstiftung FAI vermachte. Erreichbar zu Fuß von Lenno oder per (überteuertem) Taxiboot.
■ ISOLA COMACINA
Die einzige Insel im Comer See (nur 600 Meter lang und 200 Meter breit) war früher aus geopolitischen und religiösen Gründen hart umkämpft. Heutzutage fallen nur mehr Legionen an Film- und Show-Superstars – von Brad Pitt über Arnold Schwarzenegger bis Elton John – sowie "Normalos" ein. Primär wegen des Restaurants Locanda, das seit 1947 immer das gleiche Menü auftischt. Sechs Gänge für 64 Euro, mit einer Lachsforelle vom Holzkohlegrill, einer Flasche Wein und einem speziellen Kaffee-Ritual des Padrone als Finale. Keine Touristenfalle, keine Kreditkarten. Fährenfahrplan unter: www.navigazionelaghi.it
■ VARENNA
Vis-à-vis vom vielgerühmten Bellagio glänzt mit Varenna eine weitere Perle am See: Mittel-alterflair, pastellfarbene Häuser, duftende Blumen. Pflichtprogramm: die Villa Monastero aus dem 18. Jahrhundert und die Burgruine Castello di Vezio mit Falkenshow.
■ CORENNO PLINIO
Das malerische „Dorf der 493 Stufen“ machte im Januar mit dem unromantischen Plan Schlagzeilen, Touristen ab Ende März 5 Euro Eintritt abknöpfen zu wollen. Grund: „Overtourism“. Dann kam Corona – und es wurde still.